ELLEN HEINEMANN
Haltestellen der Farbe*

Bilder Ellen Heinemann, Atelier Ansicht
Bilder Ellen Heinemann, Atelier Ansicht

* In unseren städtischen Räumen haben sich die Farben nicht nur unendlich vermehrt, sie sind auch in stetigem Wechsel begriffen und ständig in Bewegung. Die Farben der Natur sprechen zwar noch mit, treten jedoch in Konkurrenz mit den Farben der Architektur- und Werbedisplays, der Verkehrsmittel, der Beschilderungen. Sie vagabundieren, fahren als blinde Passagiere mit an
Straßenbahnen, Bussen und Zügen. Sie sind nicht
weniger anarchistisch als die Graffiti. Ich seh’, ich seh’, was du nicht siehst, und das ist …, kann nahezu jeden Gegenstand ins Blickfeld rücken. Gelb kommt viel mehr daher als nur mit der Post, die inzwischen dem Maggistudio farblich sehr nahe gekommen ist. Farben nehmen die Namen von Warenmarken an. Die Farben haben
ihre angestammten Orte und Gegenstände aufgegeben und sind woanders hin gewandert, lassen sich hier und dort nieder, ihre Bedeutungen changieren. Das alles bedeutet aber nicht, dass die Farben der Natur verschwinden, manchmal, und durch den ausgedehnten Warenverkehr nicht immer jahreszeitengemäß, können sie sogar besonders aufleuchten.
Auf eine solche Wahrnehmungserfahrung lassen sich zwei Notizen von Ellen Heinemann über ihren Umgang mit Farben beziehen: „Ich sammle Farben auf dem Fahrrad, bei der Fahrt durch die Stadt und verteile sie auf meiner Leinwand“ und: „Wenn Handke ‚Platzanweiser für Worte’ ist, bin ich Platzanweiserin für Farben.“ Eine solche Formulierung kann nur auf der Grundlage einer konzeptuellen Auffassung von Malerei gefunden werden. Die Platzanweisung muss sich nämlich auf ein Feld beziehen, das sich zwischen den Polen leer und besetzt ausspannt. Am Anfang des Malprozesses sind die Leinwände leer und doch schon immer besetzt. Dort befinden sich unsichtbar und desto wirksamer die Platzhalter der gesamten Kunstgeschichte. Folglich müssen die Entleerungen und Setzungen immer ineinander greifen. Das Kino darf nie überfüllt und nie leer sein. Mit einfachen Rausschmissen ist es auch nicht getan. Die Türen zur Welt außerhalb des Kinos dürfen weder völlig geschlossen noch völlig offen sein. Wir reden von Farben: es dürfen sich nicht mehrere auf dem Schoß sitzen und sich vermischen und zerdrücken, sie sollen sich aber auch nicht versprengen, sondern ein Publikum bilden. Sie sollen mit der Leinwand, unter einander und mit der Außenwelt in Verbindung stehen. Die Platzanweiserin hat viel zu tun, sie muss alles im Blick behalten, sie bewegt sich hin und her, sie muss die Kommenden empfangen, die Gehenden hinausgeleiten. Sie muss den Überblick bewahren. Sie braucht ein Konzept.

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